Five O'Clock Tea mit Spion
Lektorat: Michael Lohmann
Korrektorat: Helmut Burmeister
Hurra, London! Katharina ist ganz aus dem Häuschen, als sie erfährt, dass die moderne Metropole ihr nächster Wohnort sein wird. Towerbridge, Kronjuwelen, Gartenpartys ... Das klingt nach einem perfekten Setting für ein unbeschwertes Diplomatenleben. Dann tauchen ihre erwachsenen Söhne auf – und wollen bleiben. Eine verschlüsselte Nachricht ihres Beinahe-Liebhabers Witalij aus Moskauer Tagen beendet die sorgenfreie Zeit. Gegen alle Vernunft beschließt sie, ihm bei der Flucht vor russischen Auftragskillern zu helfen.
Zu allem Überfluss wird auch die Presse auf sie aufmerksam. Denn einer ihrer Söhne hat nichts Besseres zu tun, als sie der Öffentlichkeit als Doppelagentin zu präsentieren.
Textschnipsel
Am Ende unserer Sackgasse stand ein Londoner Taxi mit laufendem Motor und mein Herz stolperte kurz. Aus dem offenen Fenster stank es nach kaltem Rauch. Der Fahrer gab mir einen Zettel. Dann legte er den Rückwärtsgang ein und brauste davon, bevor ich irgendetwas sagen konnte.
Mit fahrigen Händen holte ich den Hausschlüssel aus meiner Hosentasche, schloss auf und ging sofort ins Wohnzimmer. Ich zog nicht einmal die Schuhe aus und hinterließ eine Spur aus Straßenstaub und Dreck. Egal!
Erst nachdem ich mich hingesetzt hatte, nahm ich den Zettel und sah ihn mir an.
Morgen zwei Uhr. Isabella. Wieder waren es kyrillische Buchstaben.
Leseprobe
1. Kapitel, in dem Witalij um sich schießt
Die Wälder rund um Moskau versanken im Schnee. Er war seit acht Tagen allein unterwegs. Sein Rucksack – vor Jahren vom KGB zur Verfügung gestellt – enthielt ein Überlebenskit: einen winterfesten Schlafsack, haltbare Vorräte, verschiedene Ausweise, sein Notizbuch und eine Klappsäge.
Drei Mal hatten ihn Lkw-Fahrer einige Kilometer mitgenommen. Sie hatten sogar ihre Butterbrote mit ihm geteilt und er hatte im hinteren Fahrgastraum warm schlafen dürfen. Er hoffte inständig, dass die Verfolger seine Spur verloren hatten.
Für die heutige Nacht suchte er einen Stall, der in seiner Spezialkarte eingetragen war. Ein solcher Unterschlupf verhieß Schutz vor dem eisigen Wind. Es konnte nicht mehr weit sein. Er sah auf seinen Kompass und prüfte, ob er noch in die richtige Richtung unterwegs war. Kein Zweifel, er war auf dem Waldweg, der zu einem kleinen Bauernhof führte.
Er schlich auf den Stall zu, der etwa hundertfünfzig Meter südlich vom Haupthaus stand. Ziegen meckerten leise und Flügel flatterten, als er sich näherte. Ein Hund schlug in der Ferne an, beruhigte sich aber wieder. Witalij wollte vermeiden, jemandem zu begegnen. Lautlos öffnete er die Stalltür, schlich hinein und zog sie hinter sich zu. Eine verdreckte Glühbirne hing von der Stalldecke herab und spendete gedämpftes Licht. Die Tiere ließen sich nicht stören. Ihre dampfenden Leiber fühlten sich wie ein warmes Willkommen an. Fünf wiederkäuende Rinder starrten ihn aus sanften Augen an. In einem kleinen Verschlag lagen mehrere Ziegen mit ihren Zicklein. Links von den Kühen stapelten sich Strohballen fast bis zur Decke. Daneben waren Stangen auf halber Höhe angebracht und darauf saßen etliche Hühner und ein weißer Hahn. Dort würde er sein Nachtlager errichten. »Nicht, dass ihr in meinen Schlafsack kriecht«, murmelte er und legte seinen Rucksack ins Stroh. Er holte einen Blechbecher hervor und kletterte damit über das niedrige Gatter zu den Ziegen in den Stall. Sie hatten Zicklein, also würden sie auch Milch geben. Er wurde nicht enttäuscht. Willig ließ eine der Ziegen sich melken. Zusammen mit ein paar Keksen war das ein wunderbares Abendessen.
Nach dem Essen ging er vor die Tür zum Pinkeln. Es war lausig kalt. Er beeilte sich, zurück in den Stall zu kommen, und kroch fröstelnd in seinen Schlafsack. Das kaum vernehmliche Wiederkäuen der Kühe, immer wieder von lauten Rülpsern unterbrochen, machte ihn schläfrig. Die Kälte spürte er kaum noch, nur ein leises Frösteln ermahnte ihn, dass er noch in Gefahr war. Die Hühner würden ihn sicher wecken. Ein leichter Muskelkater erinnerte ihn daran, dass er heute den ganzen Tag durch den tiefen Schnee gestapft war. Kein Auto hatte ihn mitgenommen. Er musste sich morgen unbedingt Schneeschuhe besorgen. Vielleicht hatte sein unfreiwilliger Gastgeber ein Paar, das er stehlen konnte.
Er drehte sich auf die Seite und schloss die Augen. Katjuscha, wo mochte sie inzwischen sein?
Katjuscha hatte ihm endgültig den Laufpass gegeben, nachdem er sie aus den Klauen des Geheimdiensts befreit hatte. Sie war tough, keine Frage. In diesen Minuten hatte er gemerkt, dass er sie liebte. Sie hatte ihm nicht geglaubt. Jedenfalls erwiderte sie seine Gefühle nicht, davon musste er ausgehen, denn sie war wieder bei ihrem Richard, dem General. Der hatte diese Frau gar nicht verdient. Witalij würde sie eines Tages wiedersehen, das hatte er sich geschworen. Zurzeit hatte er jedoch andere Probleme. Der russische Geheimdienst war ihm weiterhin auf den Fersen, auch wenn er ihn für den Moment abgehängt hatte. Fast zärtlich tastete er nach seiner Waffe, die er geladen in einem Holster trug. Er hoffte, dass er sie nicht benutzen musste, aber er war entschlossen, sich nicht an der Flucht ins Baltikum hindern zu lassen. Es lagen noch endlose Wälder und Straßen vor ihm. Die Strapazen musste er auf sich nehmen, denn erst dort war er in Sicherheit.
Neuen Kommentar hinzufügen