Moskau

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Lockruf nach Zevidova

Lektorat: Michael Lohmann

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Korrektorat: Helmut Burmeister

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Katharinas Mann wird Ende der Neunzigerjahre Militärattaché an der deutschen Botschaft in Moskau. Die Welt des diplomatischen Small Talks langweilt sie. Bis sie dem russischen Verbindungsoffizier Witalij begegnet. Er hat ein Lächeln zum Niederknien und taucht immer dann auf, wenn Katharina ihn nicht erwartet. Obwohl sie ahnt, dass er für den russischen Geheimdienst arbeitet, schlägt sie alle Warnungen in den Wind.

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Textschnipsel

Witalij antwortete nicht, sondern sah mich nur mit seinen schrägen Augen an. Er kam ganz dicht zu mir und strich mit dem Zeigefinger entlang der Konturen meiner Lippen. Sein Mund näherte sich und seine Augen wurden dunkel. Wie hypnotisiert stand ich vor ihm. Dann küsste er mich. Zart und weich spürte ich seine Lippen. Ich wehrte ihn nicht ab, aber ich erwiderte seinen Kuss auch nicht. Ich schob ihn fort. »Nicht, Witalij!«

Wie durch einen Filter hörte ich Heike oben kreischen. »Idi syuda, sejčas!« – komm sofort hierher, rief sie den kleinen Dieb. Aber ihrem Geschrei nach vergeblich.

 

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Leseprobe

 

1996
»Möchtest du für drei Jahre nach Moskau, Katharina?« Richard war Offizier, genauer gesagt war er Brigadegeneral des Heeres bei der Bundeswehr.
Ich sah von meinem Buch auf. »Wie bitte?«
»Ob du nach Moskau möchtest. Wenn du Ja sagst, dann werde ich dort zum 1. August nächsten Jahres Verteidigungsattaché.«
»In Russland?« Dümmer hätte ich kaum fragen können. Ich war noch mitten im Geschehen meiner Lektüre, die mich ins Mittelalter entführte. Es dauerte einen Moment, mich aus der Geschichte des ›Medicus‹ zu reißen. Die Bilder, die meine Fantasie dazu malte, hatten mich völlig in ihren Bann gezogen.
»Kannst du dir vorstellen, drei Jahre mit mir im Ausland zu leben?«
Allmählich dämmerte es mir. Ich verließ das mittelalterliche London und den Medicus. Eine erneute Versetzung und dann noch ins feindliche Ausland. »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.« Die Zeit des Kalten Krieges stand mir vor Augen und Russen machten mir Angst. »Ausgerechnet Moskau. Warum lässt du dich nicht nach Paris versetzen?«
Er lachte trocken. »Es ist Moskau, alternativ ziehen wir nach Munster. Komm, Katharina, du bist doch sonst so abenteuerlustig. Das wird ein einmaliges Erlebnis. Kreml, Schnee, tolle Museen, im Gorki-Park Schlittschuh laufen, Diplomatenpartys. Wir können ins Bolschoi-Theater gehen, vielleicht treffen wir sogar Jelzin.«
Wer wollte schon ein Abenteuer mit einem greisen Alkoholiker erleben? »Wahrscheinlich begegnen wir auch noch der Queen.«
»Spotte ruhig, aber das doch eher nicht, möglicherweise dem Außenminister Fischer oder Volker Rühe.«
»Russland macht mir Angst.« Meine ostpreußische Großtante Emilia konnte nicht genug davon erzählen, wie sie vor den marodierenden Truppen der Sowjets geflohen war. »Von einem Russen möchte man wirklich nicht vergewaltigt werden«, hatte sie immer wieder betont. »Und deinen Onkel Arnold hat der Russe in Sibirien um den Verstand gebracht.«
Was sollte so großartig in Russland sein, auch wenn es die Sowjetunion nicht mehr gab? Wir waren dann auch so weit weg von unseren Kindern, die in Deutschland studierten.
»Außerdem spreche ich kein Wort Russisch.« Als Diplomat musste man gewiss die Landessprache beherrschen.
Richard unterbrach meine Gedanken. »Wie gut ist dein Französisch?«
Das war ein unfaires Totschlagargument. Ich sprach außer Deutsch nur fließend Englisch. Mein Schulfranzösisch genügte kaum, um stotternd ein Baguette zu kaufen.
»Überschlaf es, Kati. Wir sprechen morgen darüber und dann beschließe ich, ob wir umziehen werden.«
Klar, wer auch sonst. Seit wir verheiratet waren, gab es für mich niemals ein Mitspracherecht. Ich wurde informiert und Richard verließ sich darauf, dass ich für seine Karriere den Entscheidungen folgte, die er traf. Nur gelegentlich muckte ich auf. »Ob ich mitkomme, wenn du den Entschluss für Moskau gefällt hast, das bestimme wiederum ich.«
Er zog die linke Augenbraue hoch. »So gesehen liegt es allein bei dir, denn wenn du nicht mitziehst, werde ich kein Attaché, sondern werde nach Munster versetzt.«
»Warum muss ich mit?« Munster klang erst recht nicht verlockend. Eine langweilige Kleinstadt in Niedersachsen, geprägt von militärischem Kleingeist, Kaffeekränzchen und Gartenzwergidylle.
»Weil gerade die großen Botschaften die Ehefrauen mit einbeziehen. Unverheiratete haben keine Chance.« Da war es wieder, das alte Gefühl. Schon in der Kindheit zog ich mir jeden Schuh an, egal ob er passte. Moskau oder Munster – es lag in meiner Hand. Das änderte natürlich einiges. Wenn ich den Eindruck hatte, jemand wollte mich in eine Richtung drängen, weckte das immer meinen Widerspruchsgeist. Lange genug hatte ich zumindest so getan, als gehorchte ich brav und täte, was man von mir verlangte. Inzwischen gehorchte ich nur noch, wenn ich bei meinen Eltern war.
Jetzt war es klar ausgesprochen. Es lag also letztlich wirklich an mir. Ich sah Richard in Gedanken milde nicken. Ganz wie du willst, Kati, dann gehen wir eben nach Munster. Dabei würde er mich geknickt anschauen. Die Vorwürfe Vaters – Wie kannst du ihm die Karriere versauen? – würden mir Schuldgefühle vom Feinsten verpassen.
»Ich geh in den Keller und mache den neuen Nistkasten fertig«, rief Richard mir zu, bevor er die Tür hinter sich schloss. Das Hobby hatte er von seinem Vater übernommen, der sehr früh verstorben war. Er hatte wenig Zeit mit ihm verbracht, aber Vogelhäuschen bauen, Vögel beobachten, das brachte sie zumindest am Wochenende immer wieder zusammen. Richard liebte alles, was flatterte, sang oder piepste. Jedes Jahr kreierte er für seine Lieblinge Nistkästen und Futterhäuschen in verschiedenen knallbunten Farben. Manche wirkten schon baufällig, bevor er sie aufhängte, denn sein handwerkliches Talent war begrenzt. Sie sahen unterschiedlich aus und waren trotzdem irgendwie erfolgreich zusammengefügt worden. Hin und wieder stürzte eines ab, was Richard keineswegs entmutigte. Er brachte es an anderer Stelle wieder an und verstärkte die lockeren Streben durch Schrauben oder umwickelte sie mit Hanf. So wuchs das Gesamtkunstwerk Jahr um Jahr. Inzwischen erinnerte es den Betrachter in seiner windschiefen Farbenpracht an Werke von Hundertwasser. Richard kümmerte sich nicht um den Haushalt, aber die Häuschen pflegte und reparierte und bemalte er mit großer Ernsthaftigkeit. Stunden saß er an der Balkontür und beobachtete das muntere Treiben seiner gefiederten Lieblinge. Kam ich dazu, nahm er mich in den Arm und erklärte mir die verschiedenen Vogelarten, die dort ein- und ausflogen. Im Frühjahr war es besonders unterhaltsam, wenn die Meisenpärchen nisteten. Zwei Amseln hatte er vor Jahren mit der Hand aufgezogen. Jedes Jahr bezogen sie einen der halb offenen Nistkästen und flogen ohne Angst auf Richards Schulter, der sie zur Belohnung mit Mehlwürmern fütterte. Das Schönste für mich aber war sein seliges Lächeln.

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